Die Wallfahrtskirche auf Maria Lindenberg. In die Ferne schaue gegen Corona

Corona und die Enge

Den ersten Blogbeitrag mit dem Thema Corona anzufangen, macht keine Laune. Eigentlich möchte ich über „Weite“ schreiben, muss dafür aber mit „Enge“ beginnen, wobei wir wieder bei Corona sind.

Nun bin ich ja Homeoffice seit Jahren gewöhnt und ich liebe es. Man kann morgens verstrubbelt aus dem Bett krabbeln, mit einer Tasse Kaffee eine Treppe hochstolpern und einfach anfangen, zu schreiben. Das hat schon etwas, glauben Sie es mir! *_* Aber das Mistvieh Corona hat meine Wohnung samt Büro zeitweise zu einem grotesken Alleinuniversum verkommen lassen, aus dem nur Zoom oder Facetime komische Gucklöcher auf mehr als zwei Menschen gewährten. Ich spürte erst räumliche Enge, dann auch innerliche. So als färbten meine eigenen vier Wände auf mein Inneres ab. In der Vor-Corona-Zeit habe ich das nie so empfunden. Wir kennen ja alle Gedanken wie „reif für die Insel zu sein“, „einen Tapetenwechsel zu benötigen“, „mal raus zu müssen“ usw. Dagegen hilft in der Regel schon ein spontaner Ortswechsel für drei oder vier Tage, ein verlängertes Wochenende, oft auch nur ein Saunabesuch oder eine feine Massage, halt irgendein Input, der frühzeitig gesucht, gar keine Enge entstehen lässt. Corona hat diese Ventile plötzlich zugedreht.

Maria Lindenberg

Im Spätsommer 2020 wollte ich zwischen zwei Lockdowns einfach nur mal weg, nicht weit weg, nur zwei Stunden Fahrzeit, Hauptsache raus aus meinen eigenen vier Wänden. Ziel meiner Spontanbuchung für zwei Wochen: Das Gäste- und Tagungshaus Maria Lindenberg im Südschwarzwald bei St. Peter, ein Tipp meines Vaters. Dort hat man einen umwerfenden Ausblick ins Tal und auf den gegenüberliegenden Feldberg. Während der Anreise mit dem Auto hatte ich neben frischen FFP2-Masken und einem etwas mulmigen Gefühl ein buntes Enge-Mosaik, zusammengesetzt aus vielen coronabedingten Mangelsituationen, im Gepäck. Im Radio lief wie immer der Deutschlandfunk, genauergesagt „Klassik-Pop-et cetera“. Es war also ein Samstagvormittag. Ich mag diese Sendung, weil sie Musik mit Menschen und deren ureigenen Lebensgeschichten verbindet. Während ich im Südschwarzwald hoch und runter und viele Kurven fuhr, wurde das Lied „Joga“ von „Björk“ gespielt. Ich kannte es nicht. Mir gefiel aber die Melodie auf Anhieb und die Textzeile „I feel emotional landscapes, they puzzle me“ passte perfekt in diese wunderschöne charakteristische Landschaft. Der Song wurde die nächsten zwei Wochen dank YouTube und super Wlan mein Lied gegen die Enge.

Wie auf dem Zauberberg

Dass nicht nur eigene Wände auf mich abfärben können, sondern auch eine weite Landschaft, habe ich auf Maria Lindenberg erstmalig erlebt. Kein Wanderurlaub in den Bergen hat vorher jemals so auf mich gewirkt. Die Wirkung setzte allerdings nicht sofort, sondern nur allmählich ein. Der Ausblick dort ist einfach allgegenwärtig und ich musste öfter an den Zauberberg von Thomas Mann denken. Besonders auf einem Liegestuhl hinter dem Gästehaus, denn die Liegewiese lag auf einer Art Plateau, das schlagartig abfiel, so dass man im Liegen gemütlich stundenlang das Tal oder den Feldberg anschauen konnte. Selbst im großen Speisesaal war das möglich. Oder bei der Wallfahrtskirche. In den ersten Tagen schaute ich jedoch nur dumpf in die Weite, meine geistige Verfassung war entsprechend.

„Dumpfigkeit“ ist übrigens ein komisches Wort, ich bringe es irgendwie mit Kröten, Unken oder mit Moor und Nebel in Verbindung. Das Sprachgefühl eines Menschen ist schon drollig, finden Sie nicht? *_* Und jeder Mensch entwickelt zudem ein ganz eigenes Sprachgefühl. Nun ja: Selbst auf der Terrasse vor dem Speisesaal, wo ich manchmal in Gesellschaft vieler Wespen, die den üblichen Coronaabstand absolut nicht einhielten, mein Frühstück einnahm, saß ich dumpf kauend und Kaffee-trinkend da und guckte in die Ferne, wie man halt so morgens guckt. Weder Kaffee noch Wespen sorgten für Guck-Energie. Die Luftmenge zwischen mir und dem Tal oder dem imposanten Feldberg schien der Luftmenge in meinem Kopf zu entsprechen.

langsame Veränderung

Dass sich irgendwann dann doch etwas in mir veränderte, merkte ich vielleicht nach fünf Tagen. Ich trug nämlich plötzlich meinen Kaffee noch vor dem Frühstück nach draußen vor die Kirche, schaute interessiert nach unten und meine Augen scannten Morgenlicht und aktuelles Wetter. Dann setzte ich mich auf ein geschütztes Holzbänkchen vor die Kirche und dachte tatsächlich nach, während ich Kaffee trank und gleichzeitig in die Weite blickte: Was will ich denn heute machen? Bewegen, lesen, was denn lesen, schreiben, Sport oder kleine Wanderung??? Wenn innerliche Enge allmählich weicht, kehren offensichtlich gestalterische Gedanken zurück. Und gleichzeitig die Fähigkeit, nicht mehr nur zu gucken, sondern interessiert zu betrachten. Ich bemerkte zum Beispiel, dass überall um das Gästehaus herum Blumen angepflanzt waren, blühende Veilchen in bunten, leuchtenden unterschiedlichen Farbkombinationen. Sie waren natürlich schon die ganze Zeit da, nur in meiner Wahrnehmung halt nicht. Haben Sie schon einmal minutenlang Veilchen konzentriert angeschaut und sich dann für eine Veilchen-Farben-Kombination entschieden, die Sie am schönsten finden??? *_*

kontemplatives Betrachten

Der ständige Blick in die Ferne macht einen selbst weit und man muss rein gar nichts dafür tun, es geschieht automatisch. In der zweiten Woche kam auch mein kontemplatives Betrachten langsam wieder zurück, also das Betrachten, ohne an etwas zu denken. Wie erkläre ich das? Vielleicht so: Wenn man mit Interesse ein Veilchen anschaut, denkt man doch etwas, wie zum Beispiel „Farbe Blau“, „rot“, „lila und gelb ist toll“. Wenn man es aber nur konzentriert betrachtet, dabei über den Sehsinn im Moment verweilt und gleichzeitig die Gedanken ruhen, ist das ein kontemplativer Zustand. Dieser Moment ist sehr fragil, sobald man ihn nämlich geistig zu greifen versucht, also analysiert, ist er vorbei. Im Augenblick zu verweilen, nichts zu denken, aber hellwach zu sein, das ist Kontemplation. Natürlich fehlt da die maßgebliche Komponente „Gott“. Dazu komme ich noch ausführlich in einem späteren Blogbeitrag.

Die Weite von Maria Lindenberg war sehr heilsam für mich, ich bin nach 14 Tagen selbst wieder frei und offen heimgefahren. Welche Erfahrungen haben Sie mit Enge und Weite gemacht?

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